Über den Umgang mit Meinungsstreit unter Christen

(Von John Newton*)

 

Ein Pastor, der vorhatte einen öffentlichen Artikel zu schreiben, in dem er einen anderen Diener Gottes kritisieren wollte, schrieb zuerst an John Newton und bat ihn um Rat. Hier ist Newtons Antwort:

 

Lieber Herr,

da Sie sich auf einen Meinungsstreit einlassen wollen, […] bin ich aus Freundschaft zu Ihnen besorgt. Sie sind auf der starken Seite; denn die Wahrheit ist großartig und muss siegen. […] Aber ich wünschte, Sie würden nicht nur über Ihren Gegner siegen, sondern auch über sich selbst triumphieren. Wenn Sie in der Auseinandersetzung nicht besiegt werden können, können Sie doch Schaden nehmen. Um Sie vor einem solchen Schaden und vielen Tränen zu bewahren, möchte ich Ihnen einige Überlegungen mitgeben. Aus methodischen Gründen möchte ich meinen Rat auf drei Überschriften reduzieren: Respekt vor Ihrem Gegenüber, die Öffentlichkeit und Sie selbst.

 

Denken Sie an Ihr Gegenüber!

Ich wünsche mir, dass Sie, bevor Sie Ihre Antwort zu Papier bringen und während der gesamten Zeit in der Sie Ihre Antwort vorbereiten, Ihr Gegenüber durch ernsthaftes Gebet dem Segen und der Belehrung des Herrn empfehlen. Diese Praxis wird die direkte Auswirkung haben, Ihr Herz günstig zu stimmen, ihn zu lieben und zu bemitleiden; und eine solche Haltung wird einen guten Einfluss auf jede Seite haben, die Sie schreiben.

 

Wenn Sie ihn für einen Gläubigen halten (obwohl er in der Debatte Ihrer Meinung nach falsch liegt), liebt der Herr ihn und hat Geduld mit ihm. Deshalb dürfen Sie ihn nicht verachten oder hart behandeln. Der Herr hat auch Geduld mit Ihnen und erwartet, dass Sie aus dem Gefühl der Vergebung heraus, die Sie selbst brauchen, anderen gegenüber Sanftmut erweisen. Bald werden Sie beide sich im Himmel treffen. Er wird Ihnen dann lieber sein als der nächste Freund, den sie momentan auf der Erde haben. Schauen Sie in ihren Gedanken aus nach dieser Zeit! Und obwohl Sie es vielleicht für notwendig halten, seinen Fehlern entgegen zu treten, betrachten Sie ihn persönlich als eine verwandte Seele, mit der Sie für immer in Christus glücklich sein werden.

 

Wenn Sie ihn jedoch für einen unbekehrten Menschen halten, der sich in einem Zustand der Feindschaft gegen Gott und seine Gnade befindet (eine Vermutung, die Sie ohne gute Beweise nicht äußern sollten), sollten Sie für ihn viel mehr Mitleid als Zorn empfinden. Denn „er weiß nicht, was er tut." […]

 

Denken Sie an die Öffentlichkeit!

Durch Ihre Publikation werden Sie die Öffentlichkeit ansprechen. Ihre Leser können dabei in drei Gruppen eingeteilt werden: Erstens sind da diejenigen, die im Prinzip anders denken als Sie. D.h. obwohl Sie hauptsächlich nur eine Person im Auge haben, hat Ihr Gegenüber viele Gleichgesinnte; und Ihre Argumentation gilt sowohl ihm als auch anderen, so viele sie auch sein mögen.

 

Es wird auch viele geben, die dem Glauben zu wenig Beachtung schenken, um ein eigenes gefestigtes theologisches Verständnis über die Streitfragen zu haben. […] Aber diese Menschen können sich ein treffendes Urteil über den Geist eines Schreibers bilden. Sie wissen, dass Sanftmut, Demut und Liebe die Merkmale eines christlichen Charakters sind. Die biblische Maxime „...der Zorn des Mannes vollbringt nicht Gottes Gerechtigkeit...“ wird durch ihre tägliche Beobachtung bestätigt. Wenn unser Eifer durch Äußerungen von Wut, Beschimpfung oder Verachtung erbittert ist, können wir meinen, der Sache der Wahrheit zu dienen, obwohl wir sie in Wirklichkeit nur in Misskredit bringen.

 

Sie werden eine dritte Gruppe von Lesern haben, die Ihnen bereitwillig zustimmen werden […] und die durch eine klare Erläuterung Ihres Themas in ihren Ansichten über die Lehren der Schrift weiter gestärkt und bestätigt werden. Sie können maßgeblich zur Erbauung dieser Menschen beitragen, wenn das Gesetz der Güte sowie der Wahrheit Ihren Stift führt. Andernfalls können Sie ihnen Schaden zufügen. Da ist nämlich das Ich, das uns veranlasst, diejenigen zu verachten, die sich von uns unterscheiden. Und wir stehen oft gerade dann unter seinem Einfluss, wenn wir glauben, dass wir nur einen wachsenden Eifer für die Sache Gottes zeigen.

 

Was auch immer uns dazu bringt, uns selbst zu vertrauen (dass wir vergleichsweise weise oder gut sind und deshalb diejenigen mit Verachtung behandeln dürfen, die sich nicht unseren Lehren anschließen oder unserer Gruppierung folgen), es ist ein Beweis und eine Frucht eines selbstgerechten Geistes. Selbstgerechtigkeit kann sowohl von Lehren als auch von Werken genährt werden; und ein Mann kann das Herz eines Pharisäers haben, während sein Kopf mit biblischem Verständnis gefüllt ist. Ja, ich würde hinzufügen, die besten Männer sind nicht ganz frei von diesem Sauerteig; und sind daher geneigt, sich über solche Darstellungen zu freuen, die unsere Gegner lächerlich machen und infolgedessen unseren eigenen überlegenen Urteilen schmeicheln. Auseinandersetzungen werden größtenteils so geführt, dass sie sich eher dieser falschen Haltung hingeben als sie zu unterdrücken. Und deshalb produzieren sie im Allgemeinen wenig Gutes. Sie provozieren diejenigen, die sie überzeugen sollten, und blähen diejenigen auf, die sie erbauen sollten. Ich hoffe, Ihre Beiträge in der Auseinandersetzung werden einen Geist wahrer Demut besitzen und ein Mittel sein, sie in anderen zu fördern.

 

Denken Sie an sich selbst!

Dies führt mich letztendlich dazu, Ihr eigenes Anliegen in Ihrem gegenwärtigen Vorhaben zu bedenken. Es scheint ein lobenswerter Dienst zu sein, den Glauben zu verteidigen, der einmal den Heiligen übergeben wurde. Uns wurde befohlen, ernsthaft dafür zu kämpfen und die Widerspenstigen zu überzeugen.

 

Und doch finden wir nur sehr wenige Schreiber in Auseinandersetzungen, die dadurch keinen offensichtlichen Schaden genommen haben. Entweder wächst in ihren Augen die Wahrnehmung ihrer eigenen Wichtigkeit, oder sie nehmen einen aggressiven, streitsüchtigen Geist an. Es geschieht auch, dass sie dadurch ihre Aufmerksamkeit unmerklich von den Dingen ablenken, die als Nahrung und Unterstützung für das Glaubensleben des Volkes Gottes bedeutsam sind und ihre Zeit und Kraft mit Dingen verbringen, die höchstens einen zweitrangigen Wert haben. Dies zeigt, dass so etwas gefährlich ist, wenn der Dienst auch ehrenwert sein kann. Was wird es einem Menschen nützen, wenn er seine Sache gewinnt und seinen Gegner zum Schweigen bringt, aber gleichzeitig die bescheidene, sanftmütige Haltung des Geistes verliert, an der sich der Herr erfreut und dem das Versprechen seiner Gegenwart gegeben wird?

 

Seien Sie auf der Hut, dass Sie in der Debatte nichts Persönliches zulassen. Wenn Sie glauben, falsch behandelt worden zu sein, haben Sie die Gelegenheit zu zeigen, dass Sie ein Jünger Jesu sind. Als er geschmäht wurde, schmähte er nicht wieder und als litt, drohte er nicht (1. Pt. 2,23). Das ist unser Muster und Vorbild! Daher sprechen und schreiben wir für Gott und vergelten nicht Böses mit Bösem oder Schmähung mit Schmähung. Im Gegenteil: Wir segnen, weil wir wissen, dass wir dazu berufen sind, Segen zu erben“ (1. Pt. 3,9). Die Weisheit von oben aber ist erstens rein, sodann friedfertig, gütig… (Jak. 3,17).

 

Wenn wir in einem falschen Geist vorgehen, werden wir Gott wenig Ehre bringen, anderen wenig Gutes tun und uns selbst weder Ehre noch Trost verschaffen…

 

Auszug aus “The Works of John Newton, Letter XIX “On Controversy”. Übersetzt und adaptiert von A. Reimer.

*John Newton (1725-1897) ist der Dichter des Textes des weltweit bekannten Liedes „Amazing Grace“.

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